Die Nerven / Die Hälfte, Manufaktur 27. April 2018
Hervorragender Auftritt von Die Nerven in der Schorndorfer Manufaktur. Auch die Vorband Die Hälfte ist interessant und hat es verdient, dass man mehr als ein Lied anhört.
Obwohl ich mich vorher noch über die Gepflogenheiten des Konzertbeginns in der Manufaktur informiere. kommen wir tatsächlich erst beim letzten Song der Vorband Die Hälfte an. Eigentlich treibe ich mich ja heutzutage nur in so Minischuppen wie die Emma 23 in Heilbronn oder dem Goldmark’s in Stuttgart rum. Deshalb bin über die Größe der Konzerthalle sehr überrascht. Ist tatsächlich mein erster Besuch hier. Nebenan im Juse Hammerschlag war ich in den frühen 90ern mal. Dass da dann von vorne bis hinten unzählige Menschen stehen, ist dann völlig ungewohnt. Für mich gefühlt zu voll, da nirgendwo leerer Raum auszumachen ist. Nix mit kurz vor die Bühne gehen und Bilder machen. Egal – Kalle Stile macht wie immer eh viel bessere Bilder von den Nerven und Die Hälfte. Letztere gefallen mir und ich finde die Musik für ein Bass-Schalgzeugduo gut umgesetzt. Ärgerlich, dass wir davon kaum was sehen, aber wer rechnet damit, dass die Vorband kurz nach Neun fertig ist?
Danach die Nerven. Ich hatte im Artikel zum Karies-Auftritt geschrieben, dass ich die Stuttgart-Musik-Explosion mit Wohlwollen verfolge. Seit dem Auftritt von Karies und den Nerven 2013 im Mobilat in Heilbronn aber keine beteiligte Band mehr gesehen habe. Mit entsprechender Vorfreude fiebere ich also dem Freitag entgegen. Weitere, für mich ungewohnte, Special Effects – über die normale Konzertgänger wohl müde Lächeln – wie Eisnebel und eine aktiv gestaltete Lichtshow, lassen mich beide Augenbrauen heben. Die Musik ist dann von Anfang bis Ende ein Suhlen in Pessimismus. Vom neuen Album Fake heißt es, es sei zugänglicher, ich kann bei den neuen Songs keine großen Unterschiede zu den älteren feststellen. Es geht immer noch um das Spiel mit laut/leise, Harmonie/Dissonanz und die Texte sind schlagwortartig bis lyrisch. Eindeutig Die Nerven
Was 2018 anders als 2013 ist, ist meine Reaktion auf die Musik. Damals habe ich mich gefreut, dass es in Stuttgart junge Bands gibt, die ansprechende Musik machen und bin nach reichlich Alkoholkonsum positiv beschwingt nach Hause gewankt. 2018 reagiere ich viel empfindlicher auf die akkustischen und verbalen Noiseattacken der Band. Habe ich mich geändert oder ist die Band bissiger, negativer geworden? Ich kann es nicht sagen.
Was sich nicht geändert hat – die Band hat keine Entertainerqualitäten. Kevin Kuhn schneidet zwar immer noch Grimassen hinterm Schlagzeug und er unternimmt einen zaghaften Versuch eine lustige Geschichte vom Vorabend zu erzählen. Nach „Wir waren ja gestern in Brüssel“ kommt aber einfach nichts mehr.
Entertainment braucht man bei der Musik auch nicht. In einer Konzertankündigung ist von Katharsis die Rede und das ist der Auftritt für mich. Worum es in den einzelnen Songs tatsächlich geht, kann ich beim Konzert nicht wirklich heraushören. Aber wenn man, so wie ich, gelegentlich grüblerisch unterwegs ist, bieten sich einzelne Liedfragemente an, um mit eigenen Zweifeln und Ängsten anzudocken. Wunderbarerweise hat das tatsächlich eine reinigende Wirkung. Nach dem Konzert fühle ich mich erleichtert.
Nach einer intensiven Polizeikontrolle geht die Rückfahrt größtenteils über Landstraße vorbei an properen Kleinstädten mit weniger oder besser bekannten Unternehmensstandorten wie der Kärcherzentrale. Vor uns kurvt ein offenbar volltrunkener Autofahrer immer wieder mit seinem Kleinwagen über die Mittellinie. Hier kann man verzweifeln.