Geralf Pochop mit Alüt / Vorwärts! / 30 Jahre Rote Hilfe HN, Emma 23 16. November 2019
Was für eine Mischung: Geralf Pochop ist mit seiner multimedialen Lesung über Punk in der DDR zu Gast, die Schweizer Punk’n Roller von Vorwärts! begehen ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum und die Rote Hilfe Heilbronn feiert ihr 30-jähriges Bestehen.
Punks in der Bundesrepublik hatten es in den 80ern schwer – nicht umsonst gehört zum Repertoire jeder Deutschpunk-Band mindestens ein Lied über die Polizei und ihr Gebaren. In Hannover wurde beispielsweise 1982 eigens eine Punker-Kartei angelegt, um der Subkultur Herr zu werden. Weitaus rigider ging die Staatsgewalt in der Deutschen Demokratischen Republik mit den Punks um. Davon erzählt Gerolf Pochop in seinem Buch „Untergrund war Strategie. Punk in der DDR: Zwischen Rebellion und Repression“. Er gehört Anfang der 80er zu den Gründern der Punkszene in Halle an der Saale und hat die Entwicklung und den Kampf der Behörden hautnah miterlebt. In der Emma berichtet er in einem Multimedia-Vortrag mit vielen Fotos, Musikeinspielungen und Original-Utensilien davon. Dazu spielt Alüt auf der Gitarre Lieder bekannter DDR-Punkbands.
Aus heutiger Sicht absurd wirkt die fast schon paranoide Vehemenz mit der Stasi-Chef Mielke die jungen Punks verfolgen lässt. Denn wie Gerolf erzählt, sind die jungen Punks anfangs unpolitisch und wollen einfach ihre Musik hören. An Opposition denkt da noch niemand. Der Song „Schnupfen“ der Band Müllstation besteht lediglich aus diesem einen Wort, das minutenlang gesungen wird. Die typische Punkästetik mit der abgerissenen Kleidung widerspricht aber dem sozialistischen Selbstverständnis. Nach einem Fernsehbeitrag im ZDF wird deshalb die per Befehl von ganz oben und entsprechende Gesetzesparagraphen die Verfolgungsmaschine angeworfen. Punks können nun alleine für ihr Aussehen bestraft werden: „Herabwürdigung des Sozialismus“. Teenager werden von ausgebildeten Geheimdienstlern verhört. Geralf landet auch für ein halbes Jahr im Gefängnis. Ergebnis der massiven staatlichen Verfolgung ist dann eine zunehmende Politisierung der Punkszene, die sich nun offen gegen den Staat stellt.
Während bei den bundesrepublikanischen Punks die Kirche ein weiteres Feinbild ist, sind die DDR-Punks geradezu auf sie angewiesen. Von allen öffentlichen Räumen verbannt sind die Kirchen ab einem gewissen Zeitpunk die einzigen Auftrittsorte. Die Staatsgewalt hat hier keinen Zugriff. Interessant für mich als ehemaligen Katholiken, dass der Kirchenraum teilweise schon tagelang vor der Konzert mit Gemälden und Designs die passende Optik verliehen bekommt. Ich weiß, dass Protestanten zum Teil einen lockereren Umgang mit ihren Kirchensymbolen pflegen. Aber hätte ein pietistischer Schwabe ein Punkkonzert in seiner Kirche geduldet? Bei Katholiken hätte ein Erzbischof oder Kardinal anschließend die Kirche neu segnen müssen.
Der Vortrag mit Lesepassagen aus dem Buch ist extrem informativ und trotz permanenter Unterdrückung muss man bei vielen Passagen einfach lachen. Auch wer bei der Veranstaltung dabei war, sollte auch noch das Buch lesen. Denn es ist weit umfangreicher und Geralds illegalen monatelangen Sommerreisen nach Ungarn kommen im Vortrag zum Beispiel nicht vor. Die 20 Euro sind gut angelegtes Geld. Weitere Infos gibt es auf der Webseite www.untergrund-war-strategie.de
Wer den jungen Geralf in Aktion sehen will, kann sich auf Youtube ein Video eines Toten Hosen-Auftritts in der Tschechoslowakei von 1987 ansehen. So ab 35:04. entert eine Gruppe Punks die Bühne und pogt wild hin und her. Unter ihnen auch Geralf. Wer mir als erstes einen Screenshot schickt, auf dem die richtige Person markiert ist, der bekommt ein Plakat von der Veranstaltung.
Die Gründung ihres Vereins vor 30 Jahren können die Rote Hilfe-Mitglieder dann beim anschließenden Auftritt von Vorwärts! feiern, die es tatsächlich schon 10 Jahre länger gibt. Der schmissige Punk mit starkem Rock’n Roll-Einschlag kommt an und es wird ausgiebig getanzt. Haben sie mittlerweile eine richtige Fanbase in der Kätzchen-Stadt? Oft genug da waren sie. Der Smasher ist immer noch „TV Generation“ und ich muss schmunzeln, wenn ich den jungen Sänger Urs im Video sehe.
Wenn sie das nächste Mal schweizer Schoki, Käse und ein Nummernkonto für jeden mitbringen, unterlasse ich auch meine Zwischenrufe. Wobei sie das mit dem Nummernkonto auch lassen können – das schweizer Bankgeheimnis ist dahin.