Spermbirds / Sickb0yz, Alte Hackerei 14. November 2019
Der Auftritt der Spermbirds hält alles, was man sich von einem Urgestein der deutschen Punk- und Hardcore-Szene verspricht. Inklusive übervollem Konzertort und Verletzung.
Das ist ja fast wie in der Röhre in Stuttgart früher: Bei der Ankunft an der Hackerei um 21:20 Uhr spielt die Vorband Sickboyz die letzten drei Lieder. Kein Durchkommen zur Bühne möglich und daher gibt es nur ein verwackeltes Foto von relativ weit hinten. Sorry Jungs, die Musik klang aber vielversprechend.
Der Laden ist ausverkauft – schon seit Monaten. Vermutlich hätte das ganze auch in einem doppelt so großen Laden stattfinden können. Die Leute bleiben dann nach der Vorband einfach am Platz stehen, um sich selbigen zu sichern. Alles noch voller als beim CJ Ramone- Auftritt am gleichen Ort. Es gibt in Karlsruhe wohl die eine oder andere Person, die ein ähnliches Verhältnis wie ich zu den Spermbirds haben. Wie oft habe ich das Debütalbum „Something to Prove“ seit dem Erscheinen 1986 angehört? 100mal? Weniger, öfter? Ich weiß es nicht – aber es war sehr oft. Die Musik empfand ich damals als sehr progressiv, Hardcore-mäßig. Heute sehe ich sie zwar als gut gemachten Punk mit interessantem Sound, mag sie aber trotzdem immer noch sehr gern. Auch die Nachfolger-Alben „Nothing is Easy“ und „Common Thread“ waren und sind mir auch heute noch wichtig. Also muss ich zum Konzert, genau wie die anderen Besucher . Die kommen wohl auch wegen der alten Songs. Denn wenn die Band Lieder wie „You are not a Punk“, „My God Rides a Skateboard“ oder „Something to prove“ anstimmt, dann ist vor der Bühne die Hölle los.
Sie spielen auch viel von der neuen Platte „Got to hell then turn left“– müssten vier oder fünf Lieder gewesen sein und auch die kommen an. Aber bei den alten Sachen rasten die Leute förmlich aus, stage diven und singen die Texte mit. Spielen sie auch was vom vorletzten Album „A Columbus Feeling“? Ich bin mir nicht sicher. Was praktisch nicht vorkommt ist der mittlere Teil der Bandgeschichte, mit der „Eating Glass“-Platte und die Alben „Shit For Sale“ und „Family Values“ mit dem damaligen Ersatzsänger Ken Haus.
Für den Blog brauche ich gute Bilder – zudem ist der Sound im hinteren Teil der Hackerei ohne den nötigen Druck witzlos. Ich kämpfe mich also vor bis zur Bühne und finde zwischen zwei Monitorboxen tatsächlich ein Plätzchen, von dem aus ich Bilder machen kann. Bei Youtube sind mittlerweile auch drei Videos mit den Songs „Breath Deep„, „You are not a Punk“ und „Only A Phase“ von dem Abend zu finden. Bei letzterem kann man bei 4:01 sehen, wie jemand auf meine Kamera stürzt und mir das Ding in das Gesicht knallt. Blut fließt und… ich überlebe.
Witzig, dass ich mich bei meinem ersten Spermbirds-Konzert 1990 in Karlsdorf-Neuthard und allerersten Stage-Dive-Versuch, der kläglich auf dem Fußboden der Halle endete, nicht verletzte. Jetzt, 29 Jahre später, verletze ich mich, wenn ich versuche Fotos zu machen.
Wenn Termine mit alten Helden wie dieses Jahr Razzia, 2018 Moving Targets oder eben Spermbirds anstehen, durchforste ich meine Fanzines nach alten Berichten oder recherchiere im Netz. Dabei bin ich im Trust #6 von 1987 auf ein Interview gestoßen, in dem Spermbirds-Sänger Lee erzählt, warum er zur Army und dann nach Deutschland ging: Seine Eltern wollten nicht, dass er ohne Familienanschluss an eine Kunsthochschule geht. Daraus entwickelt sich für Deutschland einer der wichtigsten Punk-Sänger. Unglaublich.
Wer Zeit hat, kann sich die Band Doku „Me and my people“ von 2005 auf DVD oder bei Youtube Part1 und Part2 reinziehen. Vor allem beim zweiten Teil mit der Bandgeschichte, in dem gern Pfälzisch gebabbelt wird, kann man erkennen, was die Spermbirds ausmacht. Die machen tolle Musik, haben aber keinen extremen Background oder außerordentliche Ansichten, sondern kommen aus einem besseren Kuhdorf, wie man selbst.
Verdammt, sieht nach nem guten Konzert aus. Spermbirds konntest Du mir früher ja nie richtig schmackhaft machen, da fuchst mich heute meine Borniertheit von damals
Und ich hatte sogar eine Karte an dem Abend übrig. Die Band hat schon angekündigt, dass sie 2020 auch touren – vielleicht klappt es dann da. Hau` doch Robin oder Micha an, ob sie das im Uni machen, dann ist auch mehr Platz. Hackerei war doch sehr eng.
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