Cyanide Pills / Neckarions, 20. August 2022 Goldmark’s
Die Neckarions entpuppen sich als ansprechende Erweiterung des Stuttgarter Band-Angebots. Cyanide Pills sind würdige Vertreter des Traditons-Genres 77er-Punk und das Publikum im Goldmark’s hat seinen Spaß daran.
Den Konzerttermin mit den Cyanide Pills hatte ich mir schon vor längerer Zeit vorgemerkt. Jetzt ist der Tag da und ich liebäugle damit statt nach Stuttgart zu gondeln die angefangene Miniserie „Pistole“ über die Sex Pistole weiter anzusehen. Der erste Teil war überraschend gut. Schnell noch mal „The Kids are not trusted with Rock’n Roll“ von Cyanide Pills angehört und auf in das Auto.
Die richtige Entscheidung, wie sich schnell herausstellt. Vorband sind Neckarions aus Stuttgart. Raw Melodie Punk nennen sie ihre Mischung. Anspieltipps „Fight The Fight“ und „Gulf of Mexico“. Bei erstem will man sich gleich einreihen, um für eine gerechte Sache zu kämpfen. Bei letzterem steigt man gerne mit dem Sänger in einen offenen amerikanischen Straßenkreuzer, um an die Küste zu fahren. Verblüffend ist die Nähe der Stimme des wohl amerikanischen Sängers zum Organ von Jello Biafra. Sollte irgendjemand mal auf die Idee kommen, eine entsprechende Coverband in der Schwabenmetropole zu gründen – da ist euer Mann.
Laden ist mäßig gefüllt, vor der Bühne bewegen sich einige Leute und insgesamt ist die Stimmung gut. Die eine oder Person mache ich aus, die auch Textzeilen mitsingt. Wer sich als Emblem für den Hauptcharakter aus „Der Schrecken vom Amazonas“ aka „Creature from the Black Lagoon“ entscheidet, hat ´eh schon gewonnen. Eine wertvolle Bereicherung der Stuttgarter Bandszene.
Die Cyanide Pille kommen aus Leeds, wo ich mich bei meinem Besuch Anno 1995 mal eine Bushaltestelle verpasste und in der nebligen Umgebung sehr orientierungslos herumirrte. Vom Herumirren ist bei den Zyankalipillen nichts auszumachen. im weiten Nebel des Punk haben sie ihre Orientierungspflöcke eingeschlagen und die lauten 1977er, 1977er, 1977er und 1977er.
Das fängt beim Outfit an – bis auf den Drummer tragen alle verschiedenfarbige Lederjacken. Die werden auch bei fortgeschrittenen Temperaturen nicht ausgezogen. Setzt sich beim typisch hüpfenden Pogo der Punkfrühphase fort und gipfelt in der sehr traditionellen Interpretation des Musikstils. Fast keine Soli, wenig verzerrte Gitarren und melodischer Gesang, gerne mehrstimmig, der mich vor allem an die Untertones erinnert. Das Genre 77er ist wie eine Bahnstrecke, auf die verschiedene Züge gestellt werden.
Stilistisch kommen da sehr ähnliche Songs heraus. Ob man davon mehrere Platten haben muss, wenn man schon den einen oder anderen genretypischen Tonträger besitzt, muss jeder selbst entscheiden. Im Vergleich zu Neo-Genrekollegen wie den Briefs fehlen die ganz großen Hits.
Aber live mag ich das und in Stuttgart eine recht erkleckliche Zahl von Konzertgängern. Das Goldmark’s ist jetzt gut gefüllt ohne dass man Platzangst bekommen muss. Die Band brettert durch ihr Programm. Fast keine Pausen zwischen den Songs und bis auf wenige Dankesbekundungen keine Ansagen.
Das Quintett versucht auch dem Auge etwas zu bieten: Auf der Bühne wird gehüpft, Gitarren werden in die Luft gereckt oder dem Kollegen Wasser ins Gesicht gespuckt. Je länger das Konzert dauert, desto mehr verschmelzen Band und Publikum zu einer Einheit. Vor der Bühne bildet sind ein Pogopulk von jetzt vorwiegend recht großen Männern und es geht etwas ruppiger zur Sache.
Die meisten Songs bewegen sich bis dahin in einem etwas angehobenen Midtempo-Bereich. Ich glaube, im Zugabenblock lösen die Jungs dann die Handbremse und der 77er-Express rast über die Schienen dahin. Sänger und Bassist mischen sich unter das Publikum. Ein einzelner Stagediver surft über die Köpfe dahin. Sein vorherige Versuche waren recht kläglich gescheitert.
Die Band kommt dann noch für einen zweiten Zugabenblock auf die Bühne und verwandelt sich von einem D-Zug in einen ICE, nein, einen TGV. Ein von vorne bis hinten gelungener Konzertabend. Wenn man nicht wüsste, dass das Goldmark’s zum Jahresende schließt. Deshalb zum Abschluss auch noch eine Außenaufnahme.
Das ist eine Katastrophe, dass das Goldmarks schließt!
Und das Universum auch?
LG Steffen
So weit ich weiß, macht das Universum auch zu. Die SSB benötigt den Platz.
So ein Mist! Dann beginnt die Abschiedstournee sm 2. September mit The Movement. Krieg ich da einen Bericht danach?😉
Muss ich schauen, ob ich mich aufraffen kann.