Harald Riegg, Emma 23 24.11.2022
Die November-Ausgabe der Gute-Nachte Geschichte oszilliert zwischen Pianisten-Depression und Humor im Beichtstuhl. Überraschung ist ein unveröffentlichtes Werk von Harald Riegg.
Gleich zu Beginn der Novemberlesung setzt Harald Riegg einen literarischen Schlag in die Magengrube. In Joey Goebels Geschichte aus „Irgendwann wird es gut“, ist der 42-jährige Paul wieder bei seiner Mutter Elena eingezogen. Er ist Pianist, spielt aber schon seit Jahren nicht mehr. Seine Mutter versucht ihn aufzumuntern, worauf er Sätze wie „Ich kann mich selbst nicht leiden“ antwortet. Schließlich kann er sich doch aufraffen die Apothekenangestellte Gillian zu einem Date einzuladen. Da seine Mutter vorher von Brustschmerzen berichtet hat, gehen Pauls und Gillian nicht wie geplant ins Restaurant sondern wollen daheim eine Pizza bestellen. Bei der sich entspinnenden endlosen Diskussion, ob Elena Steaks anbrät oder man doch Pizza bestellt, fühlt sich Gillan zunehmend unwohl. Nach einer verunglückten Piaonoeinlage endet das Date recht bald und Paul ist sich sicher, dass es keine Fortsetzung geben wird. Obwohl die Geschichte durch sprachlich witzige Einladungen immer wieder zum Lachen animiert, ist sie in ihrer Botschaft unendlich deprimierend. Passend zum nasskalten Novemberwetter draußen.
Das ist auch Harald Riegg bewusst, der als nächstes etwas aufmunternderes verspricht. Das ist bei Andreas Steinhöfels „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ auch der Fall. Der zehnjährige Rico lebt mit seiner alleinerziehenden Mutter in einem Kiez in Berlin. Sich selbst bezeichnet er als tiefenbegabt – er kann alles denken, es dauert nur länger als bei anderen Menschen. Es ist ziemlich unterhaltsam, wie Rico den neuen Nachbarn Simon Westbühl mit seiner Mutter verkuppeln will. Oder der hochbegabte und kauzige Nachbarsjunge Oskar Ricos Mutter am eigenen Küchentisch niederstarren will. Ein Kinderbuch, an dem man auch als Erwachsener Spaß hat.
Nach der Pause liest Harald die von ihm verfasste Kurzgeschichte „17 Minuten“. In der Fußgängerzone beobachtet ein Mann eine Frau im Geschäft beim Parfüm kaufen. Als sie bemerkt, dass er sie beobachtet entwickelt sich ein Gespräch. Der Mann darf bei der Auswahl des Parfüms seine Meinung äußern und es wird auch noch gemeinsam Schokolade verspeist, bevor die Begegnung abrupt endet. Wie immer in Haralds Geschichten, ist die Szenerie genau beobachtet und beschrieben. Nach der Lesung erfahre ich, dass es sich um eine neue, unveröffentlichte Geschichte handelt.
Lustig wird es dann noch mal bei Frank O’connors „Die erste Beichte“ aus Brautnacht. Ein Junge wird in Irland von seiner Schwester zu ersten Beichte geschleift. Wer wie ich einen katholischen Hintergrund hat, kann das Geschehen intensiv nachfühlen. Beim Jungen geht bei der Beichte so ziemlich alles schief und zwischendurch purzelt er aus dem Beichtstuhl. Da er glücklicherweise an einen Priester geraten ist, der viel Verständnis für die Nöte kleiner Jungs hat, fällt die Busse recht gering aus. Und das obwohl der geplante Mord an der eigenen Großmutter gebeichtet wird.
Zum Jahresende wird Harald bei die Lesung am 29. Dezember die literarischen Auswahl anders gestalten: Er wird ausschließlich aus erotischen Werken lesen. Nach Spekulatius und Lebkuchen und O Du fröhliche ein interessantes Kontrastprogramm.