Bei Erotik flüchten die Jungen

Harald Riegg liest in der Emma 23 am 17.12.2022

Harald Riegg, Emma 23 27. Dezember 2022

Eine Lesung erotischer Literatur bildet den Jahresabschluss von Harald Rieggs Reihe Gute Nacht-Geschichten. Ein interessanter Querschnitt über Kontinente und Jahrhunderte hinweg. Warum verlassen da junge Menschen fluchtartig der Raum?

In der Heilbronner Stimme wird die Veranstaltung mit Harald Riegg als Lesung der besten erotischen Literatur angekündigt. Eine Beschreibung, der Harald vehement widerspricht. Das sei nicht sein Anspruch und seiner Meinung nach bei Abertausenden von erotischen Geschichten gar nicht möglich. Seine Auswahl für den Abend sei rein subjektiv. Los geht es mit „Das Röhricht“ von Paul Bols, der Traditionen der Geschichtenerzähler in Afrika aufgreift. In Tanger erlaubt Kazem seiner Frau nicht das Haus zu verlassen, obwohl sie gerne in den Hamam gehen würde. Da Kazem nach Trinkgelagen mit seinem Freund Stiko zu müde für die Liebe ist, vergnügt sich die Ehefrau mit eben diesem Trinkkumpan. Als sie vor ihrem Mann Sperma fallen lässt, erlaubt Kazem ihr das Haus nach Belieben zu verlassen. Kazem schwenkt vom Alkohol auf Kiff um und wird umgänglicher.

Weiter geht es mit „Dem hübschen Gewehr“ aus Helen Vitale Chanson-Sammlung. Die Kaninchenjagd dient hier als Alibi, um das schöne Schießgewehr von Jean-Pierre intensiv zu begutachten und auszuprobieren. Um was für eine Art Gewehr es sich handelt wird spätestens klar, als sich Nachwuchs ankündigt.

Harald Riegg auf der Bühne der Emma 23 vor Publikum
Heute ist auch die erste Reihe gefüllt
Harald Riegg in Nahaufnahme
Harald beim konzentrierten Lesen

Von schöngeistigen Reimen geht es in Hans Henning Claers „Lass‘ jucken Kumpel“ ins Arbeitermilieu des Ruhrgebiets. Clear, ehemaliger Polizist und Amateurboxer, beschreibt darin sexuelle Eskapaden des Ehepaars Lenz. Im von Harald ausgewählten Teil vergnügt sich Gisela Lenz mit dem Nachbarn auf dem Dachboden. Der Jargon ist rüde: „Fick mich doll!“. Der Roman wurde auch verfilmt und zählte 1972 zu den fünf erfolgreichsten Kinofilmen in Deutschland.

Es folgt die von Harald selbst verfasst Geschichte „Mirabellen, ein nacktes Mädchen und ein furioser Hahn“. Schauplatz ist der obere Teil einer Scheune, deren Tor offen steht. Hier darf der Protagonist der Cousine Ruth beim Masturbieren zusehen, während er selbst auf einem Mirabellenbaum sitzt. Der erfreuliche Anlass nimmt eine unangenehme Wendung, als der junge Hahn ihn attackiert. Vom Onkel gerettet und nach dem Genuss von reichlich Steinobst versagt beim Abgang der Schließmuskel. Haralds literarische Qualität ist die genaue Beobachtung und Beschreibung – vor dem inneren Auge entsteht beim Zuhören die dörfliche Situation.

Vom 20. Jahrhundert geht es zurück in das 19. Harald liest „Aus den Memoiren einer Sängerin“. In ihr beschreibt eine 14-jährie Mädchen seine Aufklärung zwischen 1840 und 1860. Im von Harald ausgewählten Teil beobachtet es zufällig das Liebesspiel der Eltern anlässlich des Geburtstags des Vaters. Inklusive Inszenierung und drapiertem Spielgel zwecks eigener Beobachtung.

Junge Zuhörer in der ersten Reihe
Zwei der vermutlich jüngsten Zuhörer in der ersten Reihe
Blick über die Schulter von Harald Riegg
Wer über die Schulter blickt, sieht auch die Illustrationen

Etwas derber geht es bei „Der schlimme Finger“ aus „Das Geschlechtsleben des Deutschen Volkes“ zu. Hier empfiehlt der Sohn einem Mädchen zur Heilung eines kranken Finger ihn in den Hintern einzuführen. Als auch sein Fingern angeblich Behandlung benötigt führt das zu ausgiebigen Sexuellen Handlungen.

Den Abschluss bildet ein der Chanson „Ach Mama, Ihr ahnt es nicht“ aus der Sammlung von Helen Vita.In einem Brief berichtet eine höhere Tochter über Spiele im Waldmit dem Cousin, bei denen die Kleidung abgelegt wird. Höhepunkt ist der Versuch einer Maus ohne Beine sich im Intimbereich zu verstecken. Sorgen müsse die Mutter sich keine machen – da sie noch mit keinen fremden Jungs gesprochen habe.

Während der beiden Teile der Lesung betreten zwei Pärchen jüngeren Alters die Emma. Allerdings bleiben beide nicht allzu lange. Ich kann nicht sagen, ob es der Inhalt an sich war, der ihnen nicht zusagt. Oder einfach die Tatsache, dass eine Menge relativ alter Personen erotischen Geschichten zuhört. Nach wenigen Minuten verlassen die Pärchen die Lesung wieder.

Gute Nachricht zum Schluss: Auch 2023 präsentiert Harald Riegg am letzten Donnerstag des Monats seine Gute Nacht-Geschichten in der Emma 23.

Dieser Beitrag wurde unter Lesung abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert