Der nette Wahnsinnige von nebenan

Henry Rollins auf der Bühne des Scala Ludwigsburg

Henry Rollins, Scala 12. März 2023

Henry Rollins hat als Sänger von Black Flag Punkgeschichte geschrieben. Heute ist er Autor, Radiomoderator, dreht Reisedokus und zieht als Geschichtenerzähler durch die Welt. Das ist unterhaltsam, informativ und gewährt auch Einblicke in Henrys Abgründe.

Eigentlich ging ich davon aus, dass der Abend eine Art Lesung sein würde. Henry Rollins sitzt an einem Tisch auf der Bühne und liest aus seinem aktuellen Buch vor. Auf der Bühne steht allerdings kein Tisch sondern steht ein Mikrofonständer mit einer handvoll Monitorboxen drumherum. Vermutlich kann der ehemalige Sänger von Black Flag und – wie er sich früher selbst nannte „Hot Animal Machine“ – nicht ruhig auf einem Stuhl auf einer Bühne sitzen.

Das Scala ist gut gefüllt als er auf die Bühne kommt. Ist es tatsächlich schon fast wieder 30 Jahre her, dass ich ihn mit der Rollins Band in der Universität von Bristol gesehen und mich vor ihm gefürchtet habe? Er war halt unglaublich muskulös, halbnackt und hatte einen irren Blick.

Jetzt trägt er lange Hose und T-Shirt in schwarz und spricht meistens sehr freundlich. Zunächst klärt Henry uns auf, warum er Deutschland so gerne mag. Als er in den 80er durch die Lande tourte, gab es in Deutschland Catering in Form von Brot und Käse. Unerhört in den USA und auch sonst wurde man wie ein mensch behandelt. Komisches Gefühl, wenn jemand dieses Land tatsächlich lobt.Es folgt ein fast zweieinhalbstündiger Ritt ohne Pause durch Black Flag-Anekdoten, neuere Tourerlebnisse mit eifersüchtigem Ehemann, Selfies mit jungen Leuten auf Punkkonzerten und seiner Vorliebe für Musik aus Finnland. Sich selbst bezeichnet er als Workaholic, der außer Arbeiten, Trainieren und Einkaufen kaum etwas anderes tut.

Henry Rollins weiß wie man Geschichten aufbaut und Pointen einbaut. Und er kann sich auch über makabre Situationen köstlich amüsieren. Zu seiner Mutter hatte er zeitlebens eine schwierig Beziehung. Als sie stirbt geht er nicht zum Termin, an dem ihre Asche in einem Park in Washington verteilt wird. Von seinem Jugendfreund Ian McKaye – Bekannt als Mitglied von Minor Threat, Fugazi und Dischord-Gründer – erfährt er einige Wochen später, dass Enten versucht haben die kleinen biologisch abbaubaren Säckchen mit der Asche zu schlucken, da sie es für Essen hielten. Darüber lacht er sich halb kaputt, und macht wirklich gut die Enten nach, während Ian nicht mitlachen kann. Bis heute hat er einen Beutel mit ihrer Asche im Handschuhfach seines Autos.

Henry Rollins auf der Bühne des Scala in Ludwigsburg
Füllt mit seiner Präsenz ganz alleine die Bühne
Henry Rollins agiert auf der Bühne
Henry bewegt sich während der Show auch

Zwischendurch taucht dann der gequälte Charakter hervor, der seine Wut und Aggression mit Black Flag auslebte. Die Geschichte mit dem Stalker aus Finnland erzählt er sehr lustig. Der junge Mann überwindet tatsächlich die Mauer zu Henrys Anwesen am Fuße der Hollywood Hills. So wie er sein Haus beschriebt, klingt es als ob es direkt aus Plattform von Houllebeque ist: Einsamer Mann wohnt in Betonbunker. Henry scheut sich nicht, zu erzählen dass er angezogen mit Schuhen schläft, für den Falll, dass Einbrecher kommen. Obwohl Henry den jungen Mann von der Polizei abholen lässt, kommt der am nächsten Tag wieder und irgendwann beschließt Henry ihn im Auto durch die Gegend zu kutschieren, bis er ihn erneut der Polizei übergeben kann. Der Umschwung von paranoider Furcht vor Einbrechern zu tollkühnem Gegenangriff ist so überdreht, dass ich an seinem Verstand zweifeln muss. Er erzählt die Geschichte aber sehr kurzweilig und spielt auch seine Notrufe amüsant nach.

Alles in allem ein guter Abend, zu dem ich mich vermutlich nicht hätte aufraffen können, wenn ich die Karte nicht schon im Vorverkauf erstanden hätte. Toll, dass ich ohne Führerschein durch die Polizeikontrolle gekommen bin. Mega wäre es gewesen, wenn ich mich an der Blitzersäule auch vollständig an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten hätte.

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