Pisse / Zweilaster, Manufaktur 29. März 2023
Pisse bieten einen kurzen und knackigen Auftritt und treffen auf ein Publikum das abgeht. Die Vorband Zweilaster aus Stuttgart macht sich mit ihrem Lo-Fi-Sound viele Feinde. Punk 2023 bietet viel Gelegenheit, die eigenen Ideale zu prüfen.
Der Hauptact Pisse legt los und recht schnell bildet sich vor der Bühne der Manufaktur in Schorndorf eine tanzende Masse. Unablässig fliegen Stagediver von der Bühne. Es ist merklich ein recht junges Publikum, das sich gerne bewegt. Zum Glück stehe ich in einer geriatrisch angehauchten Ecke – da geht man die Sache ruhiger an.
Immer wieder werden Songtitel vom Publikum gerufen, was die Band geflissentlich ignoriert. Auch ich warte auf Titel wie Nervenheilanstalt oder Scheiß DDR, die die Band einfach nicht spielt. Interessante Akzente setzt der Sänger mit der Frisur und einem Countryhemd. Die Band könnte kaum weniger dem klassischen Bild einer Punkband entsprechen. Dazu die Orgel und das Theremin – Klischees sind nicht das Ding von Pisse.
Irgendwann meint der Sänger, dass man wohl zu wenig zwischen den Lieder gesprochen habe. Man sei fast durch, Da waren sie vielleicht eine halbe Stunde auf der Bühne. Rechts neben mir steht eine junge Frau, die immerzu nach dem Song Vernissage ruft. Im Zugabenblock spielen sie es tatsächlich und die Frau darf auf die Bühne und mitsingen. Offenbar hat sie auch Geburtstag. Nach 40 Minuten oder so ist Schluss. Szenechronist und Ox-Schreiber Kalle Stille taxiert die Nettospiellänge auf 33 Minuten und 5 Sekunden in seinem Facebookpost. Selbst intensives Gruppenrufen und nachfragen im Backstagebereich bringt die Band nicht mehr auf die Bühne. Ist das Arroganz oder gelebter Punk? Letzteres.
Den Abend eröffnet haben Zweilaster. Sie spielen schon als ich ankomme. Vor einigen Wochen bin ich über den Bandnamen gestolpert und habe mir das eine und andere im Netz angehört. Auf Anhieb fand ich den Low-Fi-Sound gut – nach ein paar Liedern dann aber doch etwas zu kraftlos und dahinplätschernd. Das vorwiegend junge Publikum im vorderen Bühnenbereich sieht den Auftritt des Duos eher positiv. Sie flippen nicht aus, es wird aber gewippt. Interessant die Aufmachung des Publikums: Teilweise erinnert das stark an die sehr frühe Punkphase, als noch nicht so viele ungeschriebene Regeln herrschten, wie man auszusehen hat. Viele junge Frauen mit Kurzhaarschnitten. Auf dem Kopf Mützen aus Kordeln und eine Trainingshose an. Dazwischen dann ein Iroträger.
Musikalisch ist es durchwachsen was Drummerin und Gitarrist darbieten. Es gibt Phasen, die ich gut finde. Dann kommen sehr langsame Songs mit sehr persönlichen Texten über beispielsweise rot gefärbte Haare, die sich ziehen. Was ich selten erlebe, ist die geballte Ablehnung einer Band, die ich an diesem Abend noch höre. Vorwiegend ältere Männer echauffieren sich über den musikalischen Dilettantismus der beiden Musiker. Wenn man sich die Kommentarspalte unter Kalle Stilles Facebookposts ansieht, wundere ich mich, wie die beiden es schaffen, dass sich so viele Leute sich über sie aufregen.
Sie seinen zu „arty“. War das nicht etwas, was die harten Hamburger Bands den wavigen Düsseldorfer Combos zu Anfang der 80er vorgeworfen haben? Vor allem der Vorwurf, dass das musikalisch nichts tauge, finde ich erfrischend.Waren technische Limitiertet und Provokation nicht Grundsäulen der frühen Punkbewegung? Ich finde nicht alles gut, was Zweilaster machen aber Goldsaft ist zum Beispiel ein starker Song. Mit minimalen musikalischen Mittel – yeah, Progrock stirb – kreieren sie einen Spannungsbogen. Dazu ein provokanter Text über Urin, der schön ekelhaft ist, wenn man sich die Einzelheiten bildlich vorstellt: „Ich pisse in einen Eimer und vergesse ihn in deinem Schrank“. Aber vermutlich darf man die eigene musikalische Klientel nicht punkmäßig überfordern, wenn man einfach 40 Jahre zu spät auf die Welt gekommen ist.