Harald Riegg, Emma 23 25. Mai 2023
Von verstörend über mit Schwarzem Humor gespickten Geschichten bis zur spassigen Erzählung ist bei der Mai-Lesung alles dabei. Auflockernd wirken die vorgetragenen Grabinschriften, die aus einem anderen Veranstaltung bekannt sind und ein unerwarteter Telefonanruf.
Harald Riegg kündigt zum Start der Mai-Ausgabe der Gute-Nacht-Geschichten an, dass er bis zur Pause einen einzigen längeren Text lesen, wird, was etwa 30 Minuten in Anspruch nehmen wird. Zur Auflockerung liest es aus Enno Hansings „Hier liegen meine Gebeine, ich will es wären deine“ – eine Sammlung von Grabinschriften für alle Fälle – zwei Einträge vor. Die Inschriften sind zumeist sarkastisch bis bösartig: in der ersteng geht es um eine geschwätzige Frau, die nun endlich verstummt ist und in der zweiten um einen korpulenten Mann, der als Dünger nun nützlich wird.
Mir fällt ein, dass ich im Jahr 2002 für eine journalistische Fortbildung über eine Lesung von Harald einen Bericht verfasst hatte, in dem er ebenfalls aus diesem Buch vorgelesen hat. Das war ebenfalls im Mai und gleich nebenan im Club Mobilat. Ich verlinke hier meinen Bericht und bin überrascht, wie schnell 21 Jahre vergehen. War das tatsächlich Haralds allererste Lesung, wie ich im Artikel schreibe?
Zurück ins Jahr 2023: Aus Paul Bowles Sammlung „Allal“ hat Harald schon in einer anderen Lesung vorgetragen. Der Amerikaner Bowles zog in den 1940er wie viele andere in den Freihafen Tanger und war Teil einer diversen, multiethnischen und liberalen Gesellschaft. In der gleichnamigen Kurzgeschichte, geht es um Allal, der von seiner Mutter verlassen wird, als Adoptivkind in einem Hotel aufwächst und sich für ein Leben als Einzelgänger entscheidet. Er hilft einem Schlangenhändler und als der bei ihm übernachtet, stiehlt er ihm eine rotgoldene Schlange, die es ihm angetan hat. Er zähmt sie und es gelingt ihm, mit der Schlange den Körper zu tauschen. Sein Ausflug als Schlange endet für beide tragisch. Eine sehr dichte Erzählung, da es Bowles sehr gut gelingt, die Landschaft und Stimmung der Gegend zu beschreiben.
Zu Aufmunterung liest Harald vor der Pause noch eine Grabinschrift vor. Da ich in meinen Notizen außer Ignaz nichts vermerkt habe, kann nichts weiter dazu sagen. Ich weiß noch, dass das Publikum anschließend lacht. Anschließend lädt Harald Riegg Interessierte ein, gemeinsam nach Baden Baden ins Museum zu fahren um die Ausstellung „Der König ist tot – lange lebe die Königin“ anzusehen. Sie präsentiert die Werke 31 Künstlerinnen und deren weibliche Positionen bis Oktober 2023. Wer Interesse hat, kann sich bei Harald melden.
Weiterer geht es mit Fran Josef Degenharts „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern„, das Harald anstelle des bei seiner Lesung üblichen Gedichts vorträgt. Ein kritischer Beitrag zum Verhältnis zwischen den Schichten in Deutschland.
David Sedaris Roman „Nackt“ erzählt in 17 Geschichten von seinem Erwachsenwerden in Amerika. In der vorgetragenen Geschichte findet der jugendliche Protagonist ein pornographisches Buch, in dem eine Familie schamlos Sex hat und auch vor Inzest nicht zurück schreck. Der Erzähler nimmt das Buch als Aufklärungshilfe wahr und es wandert weiter durch die Hände der jüngeren Geschwister, die fortan den Alltag mit Sexualität vollgestopft sehen. Die Absurdität der kindlichen Interpretation lässt uns Zuhörer immer wieder auflachen. Irgendwann entledigt sich der Protagonist des Buches, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.
Irgendwann, wann genau, kann ich nicht sagen, klingelt ein Mobiltelefon. Harald ist es extrem peinlich dass es seines ist. Dabei sollte man sich freuen, dass in der WhatsApp-Zeit noch jemand anruft. Eine spassige Unterbrechung, zumindest für die Zuhörer.
Nach einer weiteren Grabinschrift in der es um das Verhältnis Bayern und Preussen geht, liest Harald seine eigene Geschichte „Zerkratzt“. In einer Beziehung kochen die Gefühle hoch. Die Frau lässt ihren Zorn an einer Schallplatte aus, die zunächst malträtiert wird und dann aus dem Fenster fliegt.
Nach einer weiteren schwarzhumorigen Inschrift, in der ein Mund nun mit Erde gestopft ist, biegen wir mir Vladimir Kaminers „Meine russischen Nachbarn“ in die Endrunde ein. In „Deutsch als Spritze“ geht es Kaminers Nachbarn Andrej, der außer dem Satz zum täglichen Abschied aus seinem Büro in einer Internetfirma kein Deutsch spricht. Als ihm nahe gelegt wird, besser Deutsch zu lernen, durchforstet er die Anzeigen einer russischsprachigen Zeitung, die alternative Methoden des Spracherwerbs anbieten. Die Methode per Spritze Deutsch zu lernen wird verworfen, das Angebot Deutsch durch von 36 Spezialisten in 6 Jahren entwickelte Hypnosetherapie mittel Kassetten zu erlernen, angenommen. Obwohl der Anbieter selbst auf diverse Gefahren hinweist, wie die, eine andere Sprache als die gewünschte, zu erlernen. Kaminers skeptische Haltung zu der Aktion bewahrheitet sich schlußendlich und sorgt noch einmal für viel Gelächter bei der Zuhörerschaft.