Nur Europäer

Harald Riegg liest am 27.07.2023 in der Emma 23 Heilbronn

Harald Riegg, Emma 23 27.07.2023

Vor der Sommerpause macht Harald Riegg einen Bogen um die amerikanische Literatur und konzentriert sich auf Werke aus dem alten Europa. Leichte Unterhaltung wird nicht geboten, trotzdem wird viel gelacht.

In meinem Bericht zur Lesung von Harald am 27. Oktober 2022 erwähnte ich, dass die Literaturauswahl Nordamerika-lastig ist. Zwei ausgewählte Stücke damals fand ich übrigens sehr gut. Heute beginnt die Lesung mit Haralds Ankündigung, dass es mit zwei Österreichern, einem Briten und einem Belgier nur aus europäischen Werken lesen wird. Da stellen sich mir zwei Fragen: 1. Besteht ein Zusammenhang zwischen meinem Bericht und Haralds Ankündigung. 2. Welcher Nationalität gehört Harald an?

Los geht es mit Dimitri Verhulst „Beschissenheit der Dinge“. In dem Buch verarbeitet er Kindheits und Jugenderinnerungen vom Aufwachsen in einem verwahrlosten Männerhaushalt. Der literarische Dimitri wohnt mit seinem Vater und mehreren Onkeln sowie der Großmutter in einer herunter gekommenen Wohnung im belgischen nirgendwo. Das Leben spielt zwischen Alkohol- und Frauengeschichten der Männer. Detailliert wird dir abgenutzte Wohnungseinrichtung, die Berge von Schmutzwäsche und die versaute Toilette beschrieben. Als eine gutaussehende Frau klingelt und Dimitris Vater zu sprechen wünsch, kommt Bewegung in die Truppe. Dimitris Vater war aus bis in den morgen und ist schwer zu wecken. Die Onkel nutzen die Gelegenheit die Frau so am Tisch mit Stuhlbein zwischen ihren Beinen zu platzieren, dass sich ihnen die Möglichkeit eröffnet ihren Slip zu sehen. Wer die Farbe als erster sieht, gewinnt drei Kästen Bier. Während Dimitri noch fantasiert, wie das Leben mit dieser neuen Ersatzmutter wird – Ausflüge, gemeinsames Lernen für die Schule- erscheint der Vater. Die Frau ist keine Flamme der vergangenen Nacht, sondern Mitarbeiter des Jugendamts, die nun alle Umstände von Dimitris Aufwachsen notiert. Warum er nicht bei der Mutter wohnen, will die Frau wissen. Die sei eine Hure, antwortet Dimitri.

Harald Riegg gestikuliert auf der Bühne
Harald Riegg nutzt seinen Zeigefinger
Blick auf das Publikum
Das Publikum im Bann des Erzählers

Weiter geht es mit der Moritat „Herberts Blaue Augen“ von Georg Kreisler. Herbert mit den blauen Augen verleitet den Erzähler zu einem Einbruch. Herbert erschießt dabei einen Menschen und rät dem Erzähler die Tat zu gestehen. Der tut wie ihm geheißen und statt der von Herbert mit seinen blauen Augen versprochenen Rettung verliert er den Kopf.

Vor der Pause liest Harald aus seinem Werk Lesezeichen. In ihm verarbeitet er die von anderen Leuten in Büchern vergessenen Lesezeichen zu Geschichten. In „Im Hotel“ lässt sich eine junge Frau die Sonne auf den Unterleib scheinen. Das Hotel liegt in unwirtlicher Umgebung und als sie eines ihrer Bücher lesen will, erinnert sie ein verfallen Umtauschgutschein daran, wie lange sie schon unterwegs ist.

De Zeit vor der Pause nutzt Harald, um auf die „Schreibbude“ am 12. und 19. August in der Kaffeebucht hinzuweisen. Harald und weitere Autoren werden dort Geschichten auf Bestellung schreiben – auf Schreibmaschinen! Ein Angebot, das man annehmen sollte.

Blick über die linke Schulter von Harald Riegg
Blick über die linke Schulter des Vortragenden
Blick über die rechte Schulter von Harald Riegg
Blick über die rechte Schulter des Vortragenden

Mit Nick Horny’s „Nipple Jesus“ aus „Small Country“ geht es nach der Pause weiter. Ein ehemaliger Türsteher fängt in einem Kunstmuseum an. Dort ist er für ein kontroverses Kunstwerk zuständig: Einem Jeusbild, das aus lauter kleinen Bildern von Nippeln aus Pornos zusammen gesetzt ist. Er lehnt es zunächst ab. Nachdem er die Künstlerin kennengelernt hat, nimmt er die Aufgabe das Werk zu schützen Ernst. Einen knienden und betenden Spinner kann er mit erfundenen Vorschriften vertreiben. Schwieriger wird es bei einem jungen Mann mit Priesterkragen. Hier hilft nur ein Verweis auf sexuellen Missbrauch in der Kirche. Die Geschichte wird übrigens aktuell auch als Ein-Personen-Stück auf dem Theaterschiff gegeben.

Wolf Haas „Komm, süßer Tod“ kennen vermutlich einige durch die Verfilmungen mit Josef Hader in der Hauptrolle. Die Geschichte vom Rettungssanitäter der rücksichtslos durch Wien rast, um der schnellste zu sein, bietet mannigfaltige Gelegenheit den bekannten schwarzen Humor der österreichischen Hauptstadt zu präsentieren. Von einer toten Katze geht es über waghalsiger Fahrten quer über den Bürgersteig zur Spenderleber, die sich als umbenannter Leberkäse vom Kiosk vor dem Krankenhaus entpuppt. Ein eifriges Liebespaar sinkt dann auf dem Rasen mit aus Wollust zusammen, sondern ist tatsächlich erschossen worden.

Im August ist Sommerpause – weiter geht es mit den Lesungen am letzen Donnerstag im September.

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