Harald Riegg, Emma 23 29. Juni 2023
Harald Rieggs Auswahl an Literatur für den Juni spannt einen weiten Bogen von Indianern über fatale Liebessehnsucht zu humoristischen Einlagen von Jandl und Mark Twain.
Cormac McCarthy kennt man als Schreiber der Romanvorlage des Films „No Country for old men“. Sein Roman „Grenzgänger“, aus dem Harald Riegg ein Stück liest, spielt etwa 100 Jahre davor: Die Familie zweier Teenager-Brüder wurde von Indianern getötet und sie wollen Rache nehmen. Als sie in einem Ort nach dem Weg fragen und ihnen ein alter Mann eine Karte in den Staub zeichnet, entspinnt sich mit Umstehenden eine teilweise philosophische Betrachtung über das Verhältnis von Reisen und Karten.
Anschließend springt Harald in die jüngere Vergangenheit für „Das Geschenk“ von Lou Reed aus „Walk on the wild Side. Die Geschichte wurde auch als Song „The Gift“ von Reeds Band Velvet Underground auf deren Album „WhiteLight/White Heat“ vertont. Nach dem College ist Waldo von seiner Freundin Marsha getrennt, er bei seinen Eltern in Pennsylvania, sie in Wisconsin. Liebeskrank und mittellos verschickt er sich als Postpaket an sie. Marsha diskutiert gerade mit ihrer Freundin die vorangegangen Nacht mit einem Mann, als das Paket ankommt. Während Waldo im Inneren immer aufgeregter wird, benutzen die beiden einen Metallschneider und stechen beim Öffnen zu stark zu.
Amüsanter wird es vor der Pause zunächst mit Ernst Jandas „Lichtung“: Manche meinen, Rechts und links, kann man nicht velwechsern. Werch ein Illtum!“ Auch Haralds eigene unveröffentlichte Geschichte „Mich betrunken“ lässt schmunzeln. Sie handelt von Haralds ehemaligen Bandkollegen Guy, der nach häuslichem Streit am Waldrand im Auto Gitarre spielt und Wodka trinkt. Nachdem ihm ein Polizist den Autoschlüssel abgenommen hat, steigt er in einen parkenden LKW. Irgendwann wird der von der Polizei kontrolliert, Guy entdeckt und mit Bahn und Bus gondelt er zurück, gerade rechtzeitig zur Bandprobe. Die Geschichte ist im für Guys typischem Gemisch aus Deutsch und Französisch aufgeschrieben und erheitert neben der inhaltlichen Absurdität durch die sprachlichen Verdrehungen.
Amy Hempel entwirft in die „Rache Gottes“ aus „Die Ernste“ ein Sittengemälde der Urlaubsstimmung mit verschiedenen Familien an der amerikanischen Ostküste. Zwischen Barbecue, einem verhinderten Badeunfall, Small Talk am Lagerfeuer und kurzen Charakterisierungen wie die von Dr. Bob skizziert sie amerikanischen Alltag ohne erkennbaren Erzählstrang. Dafür mit komischen Momenten, wie dem Entschluss ohne Brille schneller mit dem Auto nach Hause zu fahren, um einen Unfall zu verhindern. Oder, dass Hot Dogs eine Diskussion über frühere Leben auslösen.
Den Abschluss bilden Episoden aus Mark Twains „Bummel durch Europa“, in dem er die Eindrücke einer Reise durch europäische Länder festgehalten hat. Harald wählt aber nicht die Station in Heilbronn aus, sondern Elebnisse aus der Schweiz. Hier behauptet Twain, dass alles bisher geschriebenes über Gämsen falsch sein. So würden sie mitnichten von Jägern mit dem Gewehr gejagt sondern seien senfkorngroß und würden von allen nur mit der Hand erschlagen. Warum er Flöhe als Gämsen beschreibt, kann auch Harald nicht erklären, weist der daraufhin, dass Twain öfter in seinem Werk haarsträubendes von sich gegeben hat.
Am Rigi verpassen Twain und sein Begleiter mehrfach den Blick auf den Sonnenaufgang, da sie zu spät dran sind oder statt nach Osten nach Westen schauen. Sie müssen nicht nur den Spott anderer Alpentouristen erstarken sondern streiten auch untereinander, wer Schuld ist. In der Geschichte über das Jodeln ist festgehalten, wie Begeisterung für etwas bald ins Gegenteil umschlagen kann, wenn sie einfach penetrant wird.