Vom Totschlag zum Vorurteil

Harald Riegel liest im März 20224 in der Emma 23 Heilbronn

Harald Riegg, Emma 23 28. März 2024

Die Zuhörer lernen bei der Märzausgabe von Harald Rieggs Lesung etwas über eigene Vorurteile. Vorher erfahren sie etwas über Totschlag in Italien, Verbrechen im Kurort, einen zu meidenden Bioladen und die Übersetzung von slime.

Harald Riegg beginnt diesen Abend mit einem Stück aus Dacia Maraini „Memoiren einer Diebin“. In diesem Buch erzählt die Autorin die Lebensgeschichte einer Diebin. In dem vorgetragenen Kapitel sitzt sie im Gefängnis. im gleichen Gefängnis sitzt eine Frauenpärchen – beides Totschlägerinnen- ein, das unzertrennlich ist. Eines Tages unterhält sich die eine der beiden mit der Diebin alleine. Sie erzählt ihr, wie es gekommen ist, dass sie Ihren Schwager erschlagen hat, weil der das ihm geliehene Geld für die Heirat mit ihrer schwangeren Schwester nicht zurück zahlt. Stattdessen trifft er sich mit einer anderen Frau. Die verworrene und deprimierende Geschichte der Fürsorge für eine geistig benachteiligte Schwester wird dann gewalttätig. Die andere Totschhlägerin greift aus Eifersucht die Diebin mit einem Messer an, die sie glaubt, dass sich zwischen ihr und der Totschlägerin eine Beziehung anbahnen könnte. Im Gefängnishof entwickelt sich eine wüste Schlägerei. Im Anschluss werden die beiden Totschhlägerinnen getrennt und verschiedene Gefängnisse verlegt. Eine begeht daraufhin Selbstmord. Die Zuhörer in der Emma sitzen nach dieser Geschichte sprachlos da. Die Geschichte muss verdaut werden.

Weiter geht es mit Jörg Maurers „Föhnlage“ – einem Alpenkrimi. Auch hier scheint es wieder heftig zum werden. Denn beim Konzert einer skandalumwitterten Pianistin bricht im Publikum eine Zuhörer zusammen. Während man zunächst von einem medizinischen Notfall ausgeht, zeigt eine sich stetig ausbreitende Blutlache, dass mehr dahinter steckt. Autor Maurer nutzt die Situation zwischen Massenpanik und Verwirrung, um eine Sittengemälde der Kurortgesellschaft zu zeichnen. Denn im Publikum sitzen überwiegend Ärzte und medizinische Angestellte. Maurer nutzt das getont, um Eifersüchteleien und Konkurrenzen zwischen verschiedenen Fachrichtungen auszuarbeiten. Das entwickelt ein komisches Moment, so dass immer wieder laut gelacht wird. Als es schient als ob man erfährt, was im Konzertsaal geschehen ist, beendet Harald Riegg das Lesestück und lässt sich nicht erweichen den Spannungsbogen aufzulösen.

Harald Riegg von weiter weg
Harald Riegg näher

Harald Riegg schiebt die eigene Kurzgeschichte „Weingummi“ aus „Stärkere als du“ hinterher. Da er dringend Milch benötigt geht er entgegen seiner sonstigen Gepflogenheiten in den Biomarkt in der Nähe. Hier verursacht ein ungezogenes Kind eine Kettenreaktion in deren Lauf der Erzähler einen Kopf in den Unterlaib bekommt, über eine Hundeleine stürzt und mit einer Handtasche attackiert wird. Die gekaufte Milch geht dabei natürlich zu Bruch und das Gelächter des Emma- Publikums vertreibt die Erinnerung an die erste düstere Geschichte.

Anschließend trägt Harald „Ich bin der Schmand“ von Frank Zappa vor. An den Inhalt erinnere ich mich kaum. Ich wundere mich, wie man das englische Original „I am the slime“ derartig übersetzen kann. Zur Pause wird dann der Originalsong gespielt.

Harald Riegg ganz nah
Harald Riegg im Kreise seiner Zuhörer

Nach der Pause geht es mit einer längeren Geschichte aus Irvine Welshs „Dann lieber gleich arbeiten“ weiter. Den Autor kennt man als Verfasser der Romanvorlage für Trainspotting. Es geht um drei Freundinnen in Chicago, die sich regelmäßig freitags zum Essen treffen. Als der Hund der einen verschwindet, geht die davon aus, dass ihr Nachbar – eine Koch aus Korea – dahinter steckt. Denn so hat sie es recherchiert – in diesem Land werden Hunde gegessen. Doch bei der Polizei nimmt man sie nicht ernst. Als sie selbst plötzlich auch verschwindet, wird die Situation immer mysteriöser. Die beiden verbliebenen Freundinnen werden vom Koch alleine für eine ganz besondere Spezialität ins Restaurant eingeladen und die Geschichte kulminiert. Irvine Welsh nutzt die Geschichte über kulturelle Vorurteile, um den Leser seine eigenen Vorurteile zu spiegeln und das Publikum geht hoffentlich innerlich geläutert an diesem Abend nach Hause.

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2 Antworten zu Vom Totschlag zum Vorurteil

  1. Jasmin Sinangin sagt:

    Was ist los? Gibt es keine Gutenacht-Geschichten mehr?

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